
Busprojekt „albus“: Die Mobilitätszukunft in Burgdorf beginnt jetzt
Am 29. August schreiben die Region Hannover und die ÜSTRA in Burgdorf Mobilitätsgeschichte. Ein Blick auf die Kleinstadt, in der nicht zum ersten Mal ein neuartiges Fahrzeug für Aufsehen sorgen soll.

In Burgdorf neigen die Menschen naturgemäß zu einer gewissen Gelassenheit und Unaufgeregtheit. Konrad Adenauer hat die Stadt besucht, auch Willy Brandt, der Burgdorfer Spargel ist kein normaler Spargel, sondern „Qualitätsspargel“, man beherbergt die größte Zinnfigurensammlung Deutschlands in kommunalem Besitz, am 30. August spielen Santiano („Die Sehnsucht ist mein Steuermann“) auf dem Schützenplatz, ein Burgdorfer hat einmal das berühmte „Tor des Monats“ in der Sportschau erzielt. Und wo haben die „Recken“, eine der besten deutschen Handballmannschaften, ihren Ursprung? Genau: TSV Hannover-Burgdorf. Oder wie man in Burgdorf sagt: TSV Burgdorf-Hannover. Mit anderen Worten: Dass in der Stadt Großes passiert, ist nicht ungewöhnlich.
Am 29. August also ein Fahrzeug, das Verkehrsgeschichte schreibt? Nichts Neues für uns, wird man in Burgdorf lächelnd einwenden, auch wenn es sich zeitbedingt um Hörensagen handelt. Im Oktober 1898 fuhr das erste Automobil der Welt, der Benz-Patent Motorwagen, durch die Stadt. Ein bestauntes Ereignis. Und jetzt, einige Jahre später, am 29. August 2025, macht „albus“ in der Stadt seine Premierenfahrt. Und deshalb kommt einen Tag vor Santiano Patrick Schnieder, der Bundesverkehrsminister, nach Burgdorf, um dabei zu sein.
Albus. So heißt der große Zaubermeister bei Harry Potter mit Vornamen. „albus“ kann nicht zaubern, aber vielleicht die Menschen in Burgdorf ein bisschen verzaubern mit einem neuen Kapitel der Verkehrsgeschichte. Die Buchstaben in „albus“ stehen für „autonomer Linienbus“. Autonomes Fahren ist derzeit überall ein großes Thema, in Burgdorf passiert trotz der Schreibweise mit kleinen Buchstaben eine große Premiere: „albus“ ist das deutschlandweit erste Projekt zur nachhaltigen Integration von großen, vollautomatisierten Elektrobussen in den regulären ÖPNV-Betrieb der Region Hannover. Fachleute sprechen von „Level 4“ oder auch „automatisiertem Fahren“. Level 4 bedeutet, dass das Fahrzeug unter bestimmten Bedingungen komplett autonom agieren kann, die Autonomie aber noch an bestimmte Bedingungen geknüpft ist, etwa einer definierten Strecke wie in Burgdorf, wo immer ein Fahrer dabei sein wird, der eingreifen kann. Aber das nur am Rande.

Hier soll es ja um Burgdorf gehen, die jetzt nicht mehr nur Aue-Stadt ist, sondern auch albus-Stadt. Weil der Autor dieser Zeilen dort seine Kindheit und Jugend verbracht hat, könnte es sein, dass das eine oder andere in dem Bild zu einer vernebelnden Schönwetterwolke verschwimmt. Deshalb zunächst einmal ein paar Fakten: Burgdorf liegt zentral im nordöstlichen Bereich der Region Hannover, man könnte auch sagen: im Städteviereck Hannover-Celle-Braunschweig-Hildesheim. Burgdorf hat 31.156 Einwohnerinnen und Einwohner, zur Stadt gehören die Ortschaften Beinhorn, Dachtmissen, Heeßel, Hülptingsen, Otze, Ramlingen-Ehlershausen, Schillerslage, Sorgensen und Weferlingsen. Eine der Ortschaften wird noch eine Rolle spielen, aber dazu später.
Es gibt in Burgdorf ein paar Merkwürdigkeiten, ähm, Besonderheiten. Es gibt das Rathaus I, II, III, IV und V. Natürlich weiß kaum jemand, welches Rathaus I oder IV ist, aber wie schon gesagt, in Burgdorf ist man gelassen und findet irgendwann das gesuchte Rathaus. In Burgdorf gibt es einen Kreisel am „Schwarzen Herzog“, der auch der Lieblingskreisel von „albus“ werden wird. Als dieser Kreisel noch eine Kreuzung war, stand ganz in der Nähe ein Hotel namens „Schwarzer Herzog“, das – wie kann es anders sein – eine gelbe Fassade hatte.
Kleiner Schlaumeier-Fakt: Der schwarze Herzog, der hier als Namensgeber fungiert, ist Herzog Friedrich Wilhelm von Braunschweig-Wolfenbüttel (1771-1815), genannt „Der schwarze Herzog“. Ihm hat die Stadt auch ein Denkmal gewidmet.
Burgdorf hat den VVV, den Verkehrs- und Verschönerungsverein, in dem viele engagierte Menschen ehrenamtlich viel bewegen. Würde man den Namen nur geringfügig verändern und zum Verkehrsverschönerungsverein machen, würde die ÜSTRA einen Antrag auf Ehrenmitgliedschaft stellen.
Niedersachsen wurde mehrere Jahre aus Burgdorfs Ortschaft Beinhorn regiert. Dort wohnte Ernst Albrecht, der von Februar 1976 bis Juni 1990 Ministerpräsident des Landes war. Heute wird von Burgdorf-Beinhorn Europa regiert. Beinhorn ist in gewisser Weise die Hauptstadt Europas. Wer glaubt, dass das Brüssel sei, sollte an Ursula von der Leyen denken, als EU-Kommissionspräsidentin sozusagen die oberste Europäerin. Von der Leyen ist die Tochter von Ernst Albrecht, die „taz“ hat sie kürzlich porträtiert mit der Überschrift „Die Beinharte aus Beinhorn“.

Burgdorf ist begeisterungsfähig, nicht nur wenn Santiano zum Open Air auf den Schützenplatz kommt, der dafür vorher eine Woche gesperrt wird. Der über die Stadtgrenzen hinaus bekannte Hobby- und Pferdetiermarkt ist sowas wie das Burgdorfer Maschseefest. Vom Konzert mit der deutschen Rock´n Roll-Legende Peter Kraus, der 1990 beim 1. Burgdorfer Sommerfestival im Stadion an der Sorgenser Straße auftrat, erzählen vor allem etwas ältere Burgdorferinnen noch heute mit leuchtenden Augen.
In dem Stadion, an dem auch „albus“ künftig vorbeifahren wird, hatte auch der Burgdorfer Alfons Kluger am 28. Juli 1973 seine größte Stunde: Sein Tor im Fußball-Pokalspiel zum 4:4 gegen den damals drei Klasse höher spielenden VfL Wolfsburg wurde in der „Sportschau“ der ARD, zu der Zeit eine der beliebtesten Fernsehsendungen überhaupt, zum „Tor des Monats“ gewählt, noch heute kann man sich den Seitfallzieher des 2023 verstorbenen Kluger in der ARD-Mediathek anschauen. Alfons Kluger hat sich übrigens in dem Goldenen Buch verewigt, in das sich am 29. August auch Verkehrsminister Schnieder eintragen wird.
Manchmal im Leben fließen Ereignisse nach Jahrzehnten zusammen, die auf den ersten Blick nichts miteinander zu tun haben. Und manchmal passiert das öfter, als man denkt. Das Stadtmuseum Burgdorf widmet dem argentinischen Fußballidol Diego Armando Maradona derzeit eine eindrucksvolle Ausstellung unter dem Titel "Maradona – die Hand Gottes". Diese Hand Gottes beförderte bei der Fußball‐WM 1986 Argentinien gegen England ins Halbfinale, das 1:0 ist bis heute eines der berühmtesten Tore der Fußballgeschichte.
Leon Vainqueur ist kein Fußball-Weltmeister, aber ein weltmeisterlicher Busfahrer von der regiobus, die seit Anfang des Jahres mit der ÜSTRA einen Gemeinschaftsbetrieb bildet. Vainqueur wird bei der offiziellen Premierenfahrt von albus in Burgdorf am 29. August derjenige sein, der auf dem Fahrersitz sitzt und eingreift, wenn es erforderlich sein sollte. Die Hand Gottes, die den Ball berührte, sorgte 1986 für den Erfolg. Bei albus wäre es mit Blick auf die Zukunft der Mobilität der schönste Erfolg, wenn die Hand regiobus‘ das Lenkrad nicht berührt.
Autor: Heiko Rehberg